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Berg der Kreuze
Fotografien: 19
Veröffentlichung: 2016
 

 

Der baltische Himmel dehnt sich in unendliche Weiten – ebenso das Grün der Wiesen. Inmitten dieser weitläufigen Landschaft im Norden von Litauen erhebt sich ein kleiner Hügel. Man nennt ihn Berg der Kreuze. Ein Wallfahrtsort von einzigartiger Symbolik. Es ist Sonntag und die Pilgerstätte gut besucht. Man sagt, es bringe jemanden Glück, wenn man an diesem Ort ein Kreuz hinterlässt. Und entsprechend viele Devotionalien kann man hier kaufen. Kleine wie große Kruzifixe sind in die Erde gepflanzt und säumen den Weg vom Parkplatz zum Berg. Daneben werden Erfrischungen angeboten und man hat die Wahl zwischen gekühlter Gira (ein litauisches Brotgetränk) und Espresso-to-Go, der aus einer mobilen PKW-Kaffeebar ausgeschenkt wird. Improvisationstalent ist auch bei der Open-Air-Beichte anzutreffen. Einfache Klappsessel verwandeln sich in Beichtstühle und vielleicht ist es ja nur Zufall, dass an diesem Tag ausschließlich Frauen ein offenes Ohr für ihre Sünden suchen.

Sobald man den Berg betritt, erschließt sich eine bizarr anmutende Welt. Kreuze, wohin der Blick fällt. Manche sind aus Holz gefertigt, andere aus Metall oder Plastik. Ebenso unterschiedlich wie die Materialien sind die jeweiligen Ausführungen. Kunstvoll verzierte Modelle finden sich neben einfach zusammengezimmerten Exponaten. Große Kreuze sind mit hundert kleinen behangen. Letzte Lücken werden mit Rosenkränzen geschlossen, die für bunte Akzente in diesem verästelten Dickicht sorgen.

Die vom Wetter gezeichneten Figuren hängen oft nur noch am sprichwörtlich seidenen Faden an den Kruzifixen und mahnen an jene LitauerInnen, die während der Zar- und Sowjetherrschaft ermordet und deportiert wurden. Für ihre Unabhängigkeit mussten diese Menschen Jahrhunderte lang kämpfen. Ähnlich wie in Polen nahm auch in Litauen die römisch-katholische Kirche eine politische Rolle ein und stellte eine mächtige Oppositionskraft dar. Anfang der 1960er Jahren fuhren die Sowjets mit Bulldozern auf, die Kreuze wurden niedergewalzt und verbrannt. Doch bereits in den darauffolgenden Nächten wurden von der Bevölkerung neue errichtet und der Ort wurde zum Symbol des nationalen Widerstands. Das Ringen um den Berg sollte letztendlich länger als zwanzig Jahre dauern: Die Sowjets gingen, die Kreuze blieben.

 
Wenn der Wind anhebt und über die zigtausend ineinander verzahnten Kreuz-Skulpturen streicht, mischt sich ein sanftes Klingeln und Klappern in die Stille. Eine mystische Stimmung, der sich auch jene nicht entziehen können, denen religiöse Symbolik sonst fern stehen mag. Ob heiliger Wallfahrtsort, wie für die meisten der Besucher, oder bizarre Kultstätte – ADVENT TV ist mit seinem Satellitenübertragungswagen jedenfalls vor Ort, um darüber zu berichten.